Zwergbrand oder Zwergsteinbrand des Weizens
carie naine du blé (franz.); dwarf bunt, stinking bunt, stunt smut, short smut (engl.)
Wissenschaftlicher Name: Tilletia controversa J.G. Kühn
Synonyme: Tilletia contraversa J.G. Kühn, T. nanifica (F. Wagner), T. tritici var. controversa (J.G. Kühn) Kawchuk, T. tritici-nanifica F. Wagner, T. brevifaciens Fisch.
Taxonomie: Fungi, Basidiomycota, Ustilaginomycotina, Exobasidiomycetes, Incertae sedis, Tilletiales, Tilletiaceae
Der Zwergbrand (Tilletia controversa) befällt Winterweizen und Dinkel. Sommergetreide wird nicht befallen. Die Verseuchung des Bodens mit Brandsporen spielt bei der Ausbreitung der Krankheit eine weit wichtigere Rolle als die Übertragung mit Saatgut. Infizierte Pflanzen bilden statt Körnern kugelige Brandbutten, die mit stinkenden Brandsporen gefüllt sind. Systemisch wirkende Beizmittel bekämpfen Infektionen durch samen- und bodenbürtige Brandsporen. Stark befallenes Getreide ist ungeniessbar. Wenn es an Tiere verfüttert wird, kann es unter anderem zu Reizungen der Darmschleimhaut (Durchfall) oder zu Aborten bei trächtigen Tieren kommen. Milch und Eier können den Fischgeruch annehmen.
Abb. 1. Zwergbrand (Tilletia controversa) an Weizen, © Nigel Cattlin, Alamy Stock Photos
Brandpilze
Nach den Rostpilzen sind Brandpilze die zweitwichtigsten Pflanzenparasiten in der Abteilung der Basidiomycota. Sie bilden in grossen Mengen Brandsporen (Dauersporen) in Blüten, Blütenständen, Blättern oder anderen Pflanzenteilen. Die beiden Familien Ustilaginaceae (Flugbrand, Maisbeulenbrand etc.) und Tilletiaceae (Stein- oder Stinkbrand, Zwergbrand etc.) lassen sich anhand der Keimungsvorgänge nach der Karyogamie (Kernverschmelzung) unterscheiden:
- Ustilaginaceae: Bei den Ustilaginaceae wird während der Keimung der Brandspore nach einer Meiose ein vierzelliges Promyzel (Phragmobasidie) gebildet. Anschliessend werden, ausgehend von den Zellen des Promyzels, zahlreiche Sprosszellen (Sporidien) abgeschnürt (bei einigen Arten, zum Beispiel Ustilago tritici, bilden die Zellen des Promyzels statt Sporidien haploide Hyphen). Zwei kompatible Sporidien verschmelzen (oder eine Sporidie verschmilzt mit einer Zelle des Promyzels) und wachsen zu einem dikaryotischen Myzel, welches die Infektion einleitet.
- Tilletiaceae: Die Brandsporen keimen nach einer Meiose mit je einem einzelligen Promyzel (Holobasidie), welches am Scheitel meist acht haploide Sporidien abschnürt. Zwei kompatible Sporidien kopulieren und bilden Sekundärsporidien, welche die Infektion einleiten.
Weizen (Triticum spp.) wird weltweit hauptsächlich von sechs verschiedenen Brandpilzen befallen: Tilletia laevis (syn. T. foetida), T. caries, T. controversa, T. indica, Ustilago tritici und Urocystis agropyri.
T. laevis ist eng mit T. caries verwandt, so dass sowohl die Krankheitssymptome als auch die Brandsporen nur von Spezialisten unterschieden werden können. T. laevis kommt in wärmeren Regionen Südosteuropas vor, T. caries in Nord- und Mitteleuropa (Obst und Paul 1993).
T. caries und T. controversa sind ebenfalls eng miteinander verwandt und morphologisch einander sehr ähnlich. Einige Merkmale können jedoch helfen, die beiden Arten bzw. Krankheitssymptome voneinander zu unterscheiden (siehe weiter unten im Kapitel "Krankheitsbild".
T. indica (Karnal bunt) kommt natürlicherweise in Nordindien und Pakistan vor. T. indica ist ein Quarantäneorganismus. In den 1970er Jahren wurde dieser Brandpilz nach Mexiko eingeschleppt.
Ustilago tritici, der Flugbrand des Weizens, bildet Brandbutten, die bereits zur Zeit der Blüte aufreissen und die braunen Brandsporen freigeben.
Urocystis agropyri ist ein Blattbrandpilz.
Krankheitsbild
Bei jungen, von Zwergbrand befallenen Pflanzen sind kleine, mehr oder weniger deutliche, gelbe Flecken oder Streifen zu erkennen. Sie sind stärker bestockt als gesunde Pflanzen und ein grosser Teil der Halme ist stark verkürzt (30-50 % der normalen Pflanzenhöhe) (Abb. 1). Die Ähren kommen nicht zur Blüte und der Fruchtknoten ist dunkelgrün statt hellgrün. Die Ährchen sind leicht gespreizt. Anstelle der Körner werden hellbraune, kugelige Brandbutten, mit intakter Fruchtwand und Samenschale sichtbar. Diese sind gefüllt mit einer anfangs schmierig-braunen, später pulvrig-harten Masse aus Brandsporen, die nach faulem Fisch stinken. Meist sind nicht alle Halme einer Pflanze betroffen, jedoch sind normalerweise alle Körner einer Ähre infiziert.
Verwechslungsmöglichkeiten: Der Zwergbrand kann mit dem nahe verwandten Stein- oder Stinkbrand (Tilletia caries) verwechselt werden. Pflanzen die vom Zwergbrand befallene sind, haben deutlich kürzere Halme als Pflanzen, die vom Steinbrand befallen sind. Zwergbrand tritt in der Schweiz vor allem in Lagen über 600 m ü. M. auf (Häni et al. 2008), wo die Schneedecke länger liegen bleibt. Die netzartigen Leisten auf der Sporenoberfläche sind bei T. controversa deutlich höher (1.5-3 µm) (Abb. 2 und 3) als bei T. caries (0.5-1.5 µm) (Wilcoxon und Saari 1996).
Beschreibung des Krankheitserregers
Die Brandsporen sind dickwandig, kugelförmig und haben einen Durchmesser von 19 – 24 µm (Wilcoxson und Saari 1996). Sie sind gelbbraun bis rotbraun gefärbt. Die Sporenoberfläche ist mit einer netzartigen Struktur (1.5 - 3 µm hoch) verziert, die regelmässige Vielecke bildet (Abb. 2 und 3). Die Brandsporen des Zwergbrandes sind von einer 1.5-5.5 µm dicken farblosen, gelartigen Hülle umgeben, die in einer 3-prozentigen Kaliumhydroxid-Lösung gut sichtbar wird.
Neben normal aussehenden Sporen kommen häufig auch sterile Zellen vor. Diese sind ebenfalls kugelig, etwas kleiner (9-22 µm) und haben keine auffälligen Oberflächenstrukturen.
Die Keimung der Zwergbrandsporen erfolgt mit je einem einzelligen Promyzel an dessen Ende sich 14 – 30 farblose, fadenförmige Primärsporidien entwickeln. Zwischen je zwei kompatiblen Sporidien (Kreuzungstyp + und -) entsteht eine Kopulationsbrücke in H-Form. Vereinigte Primärsporidien können Infektionshyphen, vegetative Hyphen oder sichelförmige Sekundärsporidien bilden. Letztere können wiederum Infektionshyphen, vegetative Hyphen oder erneut Sporidien bilden.
Brandbutten enthalten Trimethylamin, eine leicht flüchtige Substanz mit einem intensiven fischartigen Geruch. Trimethylamin und andere chemische Verbindungen hemmen die Keimung der Brandsporen in den Brandbutten. Sobald die Sporen jedoch freigesetzt werden, reicht die Konzentration der hemmenden Substanzen nicht mehr aus, um die Sporenkeimung zu unterdrücken.
Abb. 2. Brandsporen der Tilletia controversa: die netzartige Struktur auf der Sporenoberfläche ist deutlich höher als bei Tilletia caries (dargestellt sind zwei Ebenen des gleichen Bildes)
Abb. 3. Brandsporen der Tilletia controversa (stark vergrössert): die netzartige Struktur auf der Sporenoberfläche ist deutlich höher als bei Tilletia caries (dargestellt sind zwei Ebenen des gleichen Bildes)
Lebenszyklus
Beim Dreschen bleiben Brandsporen auf gesunden Körnern haften oder werden durch den Wind verbreitet und gelangen so auf den Boden. Die Verseuchung des Bodens mit Brandsporen spielt beim Zwergbrand eine viel wichtigere Rolle als die Übertragung über das Saatgut. Unter natürlichen Bedingungen bleiben die Brandsporen im Boden etwa 10 Jahre lebensfähig (Wilcoxson und Saari 1996).
Brandsporen des Zwergbrandes brauchen für die Keimung niedrigere Temperaturen als diejenigen des Steinbrands (optimal sind 3-8 °C) und haben eine längere Inkubationszeit (3 – 10 Wochen) (Bockus et al. 2010).
Während der Keimung bilden die Brandsporen ein einzelliges Promyzel an dessen Ende 14-30 haploide Primärsporidien wachsen. Je zwei kompatible Sporidien kopulieren paarweise und erzeugen dikaryotische Infektionshyphen. Diese dringen über die Anlagen der Bestockungstriebe in die jungen Getreidepflanzen ein. Dort wächst der Pilz zwischen den Pflanzenzellen zum apikalen Meristem im Vegetationskegel (Wilcoxson und Saari 1996). Während des Schossens wandert der Brandpilz mit dem Vegetationskegel nach oben und besiedelt gleichzeitig die Samenanlagen. Die Wand des Fruchtknotens wird modifiziert und dient als Hülle der Brandbutte. Im Inneren bildet der Pilz Brandsporen, die bei der Ernte freigesetzt werden.
Epidemiologie
Die Brandsporen keimen im Boden bei Temperaturen von -2°C und maximal 15 °C, das Optimum liegt zwischen 3 und 8 °C (Hoffmann 1982). Optimale Infektionsbedingungen setzen eine längere Periode mit dauerhaft tiefen Temperaturen und hoher Feuchtigkeit voraus. Eine stabile Schneedecke auf dem Boden kann dies sicherstellen. Die niedrigen, optimalen Keimtemperaturen der Brandsporen und die lange Inkubationszeit sind Gründe weshalb Sommergetreide nicht befallen wird (Wilcoxson und Saari 1996).
Wirtsspektrum
Der Erreger des Zwergbrandes befällt Dinkel (Triticum aestivum ssp. spelta) sowie Winterweizen (T. aestivum ssp. aestivum). Selten tritt er auch an Winterroggen und an Wildgräsern auf. Getreide, das im Frühjahr gesät wird, wird nicht befallen (Häni et al. 2008).
Innerhalb der Art T. controversa konnten zahlreiche Rassen unterschieden werden (Hoffmann und Metzger 1976). Diese Rassen wurden aufgrund ihrer Virulenz bzw. Avirulenz gegenüber definierten Resistenzgenen in Wirtspflanzen klassifiziert. Es sind 15 Resistenzgene bekannt: Bt-1 bis Bt-15, die allein oder in Kombination vorkommen. Die Resistenz gegen T. controversa und T. caries wird bei Weizen durch die gleichen Gene reguliert (Hoffmann und Metzger 1976).
Vorbeugende Massnahmen und Bekämpfung
- Zwergbrand resistente oder tolerante Sorten verwenden
- Sommer- statt Winterweizen säen oder auf Gerste wechseln
- Die Verwendung von anerkanntem Z-Saatgut ist empfehlenswert. Bei der Produktion von zertifiziertem Saatgut dürfen maximal 5 mit Zwergbrand befallene Ähren pro 100 m2 in der Feldbesichtigung vorkommen (bei der Produktion von Vermehrungssaatgut 2 Ähren pro 100 m2). Befallene Ähren dürfen dabei nicht vor der Feldbesichtigung entfernt werden (Verordnung des WBF über Vermehrungsmaterial von Ackerpflanzen-, Futterpflanzen- und Gemüsearten, Anhang 3).
- Falls Saatgut aus eigenem Nachbau verwendet wird: Saatgut nur aus befallsfreien, kontrollierten Beständen verwenden und das Saatgut auf Brandsporen untersuchen lassen.
- Späte und tiefe Saat
- Kein Stroh- oder Mistzukauf aus Befallsgebieten
- Beizung des Saatgutes mit chemsch-synthetischen Wirkstoffen: Die empfohlenen und zugelassenen Pflanzenschutzmittel gegen den Zwergbrand finden sie für die Schweiz im BLW Pflanzenschutzmittelverzeichnis (Bundesamt für Landwirtschaft); für Deutschland in der Online Datenbank des BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und für Österreich im Pflanzenschutzmittelregister des BAES (Bundesamt für Ernährungssicherheit).
Literatur
Bockus WW, Bowden RL, Hunger RM, Morrill WL, Murray TD, Smiley RW, 2010. Compendium of wheat Diseases and Pests. Third edition. The American Phytopathological Society, St. Paul Minnesota: 171 p.
Häni FJ, Popow G, Reinhard H, Schwarz A, Voegeli U, 2008. Pflanzenschutz im nachhaltigen Ackerbau. Edition LMZ, 7. Auflage. 466 S.
Hoffmann JA, Metzger RJ, 1976. Current status of virulence genes and pathogenic races of the wheat bunt fungi in the northwestern USA. Phytopathology 66:657-660.
Hoffmann JA, 1982. Bunt of wheat. Plant Disease 66: 979-987.
Obst A, Paul V, 1993. Krankheiten und Schädlinge des Getreides. Verlag Th. Mann: 184 S.
Wilcoxson RD, Saari EE, eds. 1996. Bunt and Smut Diseases of Wheat: Concepts and Methods of Disease Management. Mexico, D.F.: CIMMYT.